Wir sind wieder da; eine Nachlese. Nach ca. 27 Std. und 2.300 km Fahrtstrecke sind wir Donnerstag Abend gegen 21.00 Uhr wieder wohlbehalten zuhause angekommen. Und wie selbstverständlich war es auch noch da….
Ja, wir hatten in den 27 Stunden neben Kisten schleppen und Smalltalk zum Wachbleiben auch Gelegenheit, unsere Gedanken zu den Geschehnissen in der Ukraine auszutauschen und zu schauen, was das mit uns macht und wie wir damit umgehen. Selbstverständlich muss man dafür nicht im Auto sitzen und natürlich beschäftigt dieses Thema alle, unabhängig von der Beschäftigung der man gerade nachgeht.
Das haben wir schon daran gemerkt, wie unerwartet groß die Resonanz auf unsere Idee war und wie sehr das ganze Vorhaben in kurzer Zeit an Fahrt aufgenommen hat. Eure Bereitschaft zu unterstützen und euch auch zu engagieren war und ist schon bemerkenswert. Nur so konnte es funktionieren, dass aus einer kleinen Idee eine recht anschauliche Sache wurde und wir letztlich nicht nur mit einem, sondern mit zwei Transportfahrzeugen und einem Anhänger in Richtung Osten aufbrechen konnten. Wir haben hier kurzfristige Unterstützung von Herrn Kind erhalten, der uns sowohl einen Bulli nebst Treibstoff als auch seinen besten Mann zur Verfügung gestellt hat. Danke Eppi und Danke auch an Matze, der es kurzfristig einrichten konnte und wollte, sich als weiteren Fahrer zur Verfügung zu stellen. Komplettiert wurde das Team dann neben meinen Freunden Carlo und Jochen durch meine Freundin und Nachbarin Elzbieta, die uns mit ihrer Muttersprache sehr hilfreich bei der Kommunikation zur Seite gestanden hat.
Neben den großzügigen Spenden aus unserer Mannschaft haben auch die anderen Expeditionteilnehmer die Idee an ihre Kontakte weitergetragen. So gelang es, sodass wir voll Stolz mit etwa 150 Umzugskartons aus direkten Sachspenden und Einkäufen aus Geldspenden von mehr als 4.000 € aufbrechen konnten. Das Transportgut umfasste Lebensmittel, Hygieneartikel, Schlafsäcke, Isomatten, Medikamente, Verbandmaterial, Desinfektionsmittel, Taschenlampen, Batterien und Schlafsäcke genauso wie ein geliebtes Kuscheltier, dass von einer Spenderin unter sechs Jahren mit auf den Weg gegeben wurde. Das hat uns und unsere Unterstützer beim Verpacken und Beschriften schon sehr berührt.
Die Anerkennung dafür gebührt euch.
Unseren Zielort haben wir dann am Dienstag vor Abfahrt zur Sicherheit nochmals durch die ukrainische Gemeinde in Hannover bestätigen lassen. Man hatte uns dazu geraten, weil sich die Dinge vor Ort rasant verändern und die Herausforderung darin besteht, die Hilfsgüter zur richtigen Zeit an der richtigen Stell zu haben.
Es blieb dabei, unser Ziel war Przemyśl. Ein 60.000 Einwohner zählender Ort im Südosten von Polen, 5 km von der Grenze zur Ukraine entfernt und mit viel zu vielen Konsonanten als dass ich es geschafft hätte, ihn auch nur einmal richtig auszusprechen. Wenn ich meine Nachbarin Elzbieta richtig verstanden habe, muss es sich richtig ausgesprochen irgendwie wie „Pschemichel“ anhören.
Um mit möglichst wenig Verkehr durch die Nacht zu kommen und gleich morgens früh vor Ort die Spenden übergeben zu können, haben wir uns bereits um 18.20 Uhr auf den Weg gemacht. Wie berichtet verlief die die Fahrt wie geplant ohne besondere Vorkommnisse. Oder vielleicht doch, weil wir nicht die einzigen waren, die sich mit der gleichen Intention aufgemacht hatten, ungeachtet der Nachtzeit und der Tatsache, dass es sich nicht um einen normalen Werktag handelte. Da waren die Transporter vom Maler und Dachdecker, der Bulli des Privaten und auch der Reisebus der Hilfsdienste oder der Verkehrsbetriebe Braunschweig, deren Fahrer zielstrebig ihren Weg durch die Nacht suchten und genau wie wir irgendwann mit der aufkommenden Müdigkeit zu kämpfen hatten. Dank unserer stahlharten „Berufskraftfahrer“ Eppi und Carlo, die sich das Lenkrad nur unter Androhung von Gewalt aus der Hand nehmen ließen, und nur sehr wenigen Pausen gelang es uns, dass wir tatsächlich gegen 06.00 h das Ortsschild von Przemyśl passieren konnten.
An der Zieladresse wurden wir von der Polizei auf einen großen Parkplatz vor einem Gebäude eingewiesen, der möglicher Weise mal als Baumarkt gedient haben könnte. Es gab einen Eingang, an dem Flüchtlinge busweise abgesetzt und registriert wurden und es gab eine zweiten, an dem andere Busse anfahren konnten, um die Flüchtlinge zu ihren Anlaufpunkten in ganz Europa zu verteilen. Im Baumarkt war neben der Registratur jeder Platz genutzt worden, um Flüchtlingen einen Unterschlupf zu bieten. Stehend, sitzend, auf Matratzen oder dem blanken Boden liegend war das ansonsten leere Gebäude mit Menschen gefüllt. Auch zu dieser frühen Zeit kamen bereits neue erschöpfte Flüchtlinge mit einem Bus an, sickerten ebenfalls in die im Gebäude ausharrende Menge ein, oder versorgten sich zunächst mit einem Heißgetränk an der Feldküche vor dem Haus. Auf dem Parkplatz hatte sich mit eilig errichteten Zelten eine Szenerie ähnlich einem Flohmarkt entwickelt. Organisationen und private Initiativen offerierten mit Schildern Hilfsangebote und verteilten wohl Gegenstände des tägliche Bedarfs, zumindest während der Betriebszeiten, die zu dieser Stunde noch nicht angebrochen waren. Wir wussten, dass der Betrieb der Spendenannahme im „Baumarkt“ auch erst um 08.00 Uhr aufgenommen wird, konnten jedoch eine weitere Adresse in der Stadt ergattern. Dies Stelle sollte rund um die Uhr besetzt sein, um Hilfstransporte in die Ukraine zu bestücken und Spenden anzunehmen.
Die Bilder, die wir in die Gruppe gestellt haben, sprechen für sich. Wir wurden an der angegebenen Adresse herzlich von der Nachtschicht empfangen. Alles freiwillige Helfer, die rund um die Uhr in einem von der Stadt zur Verfügung gestellten Gebäude Hilfsgüter annehmen, sortieren einlagern und für den weiteren Versand bereitstellen. Und obwohl die Annahme von Spenden für die Helfer vor Ort das Tagesgeschäft darstellt und das Lager auch erkennen lässt, dass es eine große Hilfsbereitschaft gibt, haben wir bei den Helfern spüren können, dass sie immer noch tief bewegt über die vorhandene Hilfsbereitschaft sind.
In diesem Sinne sollen wir allen Spendern Ihren Dank übermitteln.
Beim Kaffee nach dem Ausladen der Umzugskartons gab es dann wieder so einen Moment, der in Erinnerung bleibt. Es wurde uns ein Tetrapack Milch gereicht und mit leuchtenden Augen erzählt, dass sie diesen nebst einigen Chorizo von zwei Spendern aus Spanien erhalten hätten. Wahnsinn, was Menschen tun, um zu helfen.
Auch in der Stadt selbst spürt man, dass es sich nicht um Tage wie alle anderen handelt. Das Geschäftsleben nimmt zwar seinen Gang, es ist aber auffällig viel Polizeipräsenz vorhanden, die in Gruppenstärke den Bahnhofvorplatz freihält, in Bereitschaft steht, den Verkehr lenkt, oder im Konvoi mit Blaulicht durch die Gegend fährt. Daneben sieht man Militärtransporte und Soldaten die eilig durch die Stadt hasten oder in der Gruppe auf einem Lastwagen transportiert werden. Keine alltäglichen Bilder.
Unser Ziel, auf der Rückfahrt noch bis zu vier Flüchtling mitzunehmen, konnten wir trotz des unermüdlichen Einsatzes von Elzbieta nicht realisieren. Sie hat auch am Bahnhof, in dem sich ein ähnliches Bild wie im „Baumarkt“ geboten hat, viele Menschen angesprochen. Entweder konnten wir zu wenig Plätze bieten, weil sich Gruppen verständlicher Weise nicht trennen wollten oder das Wunschziel lag viel zu weit abseits unserer Fahrtstrecke. Hier konnte wir also nicht helfen. Für die Flüchtenden gibt es aber eben auch die Möglichkeit, mit der Bahn kostenlos an ihre Wunschadresse zu gelangen. Andere wurden am Bahnhof von Verwandten und Freunden abgeholt. Aus Hannover haben wir einen deutschstämmigen Russen kennen gelernt, der Freunde und Verwandte aus der Ukraine in Empfang nehmen wollte und sich deshalb nach seiner Frühschicht auf den Weg gemacht hatte. Irre.
Als wir gegen halb neun die Stadt verlassen haben, hat sich auf der Gegenfahrbahn der Verkehr aufgrund der anreisenden Hilfstransporte im Berufsverkehr bereits gestaut.
Nicht nur, weil der Schlaf zu kurz gekommen war, war die Rückfahrt zunächst ruhiger. Ich glaube, wir haben alle die Eindrücke verarbeitet und uns dann eben auch darüber ausgetauscht.
Wir sind alle der festen Überzeugung, dass wir mit euch zusammen was auf die Beine gestellt haben, was echt geholfen hat. Wir haben durch unsere verschiedenen Freundeskreise und Bekannten eine große Anzahl von Menschen erreicht. Ihr habt uns unterstützt und getragen und dadurch, dass wir persönlich stellvertretend für alle für die Übergabe gesorgt haben, gehört allen ein Teil des Erfolgs.
Uns ist aber auch bewusst geworden, dass wir mit eine „kurzen“ Autofahrt in die direkte Nähe zu einem Krieg in Mitten von Europa gelangt sind. Das ist kein Ereignis aus den Nachrichten an einem Ende der Welt, dass man bestenfalls aus dem Atlas kennt, sondern ein Feuer, dass direkt vor der Haustür brennt.
Wir sind überzeugt, dass die große, sichtbare Hilfsbereitschaft und Anteilnahme der Bevölkerung auch starke Zeichen für die Politik darstellen. Sowohl nach innen als auch nach außen. Und wir hoffen, dass Wege zur Vernunft gefunden werden, damit der Funke nicht überspringt und der Brand gelöscht werden kann.
Bericht von Uwe Fillmer